Archäologie

Glück in der Leber und Wut in den Füßen

Die Babylonier verorteten ihre Gefühle im Körper woanders als wir

Steinrelief
In welchen Körperregionen spürten die Assyrer und Babylonier einst Liebe, Wut und Co? © Andrea Izzoti/ iStock

Karte der Gefühle: Für uns gilt das Herz als Sitz der Liebe, Glück empfinden wir als Kribbeln im Bauch. Doch im alten Mesopotamien sah die Körperkarte der Emotionen ziemlich anders aus, wie die Auswertung von 2.900 bis 2.500 Jahre alten Keilschrifttexten zeigt. Glück empfanden die Assyrer und Babylonier demnach vor allem in der Leber, Liebe manifestierte sich bei ihnen im Rumpf, aber auch in den Beinen. Wut verorteten die Mesopotamier hingegen in ihren Füßen.

Manche Emotionen sind so stark, dass sie in unseren ganzen Körper ausstrahlen: vom vorfreudigen Prickeln über die berühmtberüchtigten Schmetterlinge im Bauch bis hin zum verliebten warmen Gefühl ums Herz. Wie Studien zeigen, sind die Körperregionen, in denen wir verschiedene Gefühle spüren, tatsächlich kulturübergreifend gleich. Werden wir zum Beispiel gebeten, in einer Karte unserer Körpers einzuzeichnen, wo wir Liebe fühlen, ergibt sich meist ein ähnliches Bild: Wir verorten Liebe – und auch den Liebeskummer – in der Herzgegend.

Doch wie sah dies in früheren Zeiten aus? Verorteten die Menschen der Bronzezeit oder der Antike ihre Emotionen in den gleichen Körperregionen wie wir heute?

Den Gefühlen der Vergangenheit auf der Spur

Um das herauszufinden, haben sich Forschende um Juha Lahnakoski vom Forschungszentrum Jülich im alten Mesopotamien auf Spurensuche begeben. Für ihre Studie werteten sie Keilschrifttexte aus der Zeit von 934 bis 612 vor Christus aus – der Zeit des assyrischen und neubabylonischen Reiches. „Schon damals gab es ein grobes Verständnis der Anatomie, zum Beispiel der Bedeutung von Herz, Leber und Lunge“, erklärt Seniorautorin Saana Svärd von der Universität Helsinki.

Insgesamt analysierte das Team rund eine Million Wörter, die in der damals geläufigen akkadischen Sprache verfasst worden waren, und suchte dabei nach Hinweisen auf die damalige Gefühlswelt und die Verortung von Emotionen. Was Lahnakoski und seine Kollegen an körperlichen Gefühlsausdrücken finden konnten, trugen sie in insgesamt 18 Körperkarten zu unterschiedlichen Emotionen ein – darunter Liebe, Wut, Überraschung und Angst.

Leber und Beine als Orte der Emotionen

Das Ergebnis: Im Großen und Ganzen scheinen auch die Menschen im alten Mesopotamien Emotionen schon in ähnlichen Körperregionen verortet zu haben wie wir heute, wie die Analyse ergab. Doch es gibt auch ein paar erhebliche Unterschiede. „Wenn man die antike mesopotamische Körperkarte des Glücks mit modernen Körperkarten vergleicht, ist sie weitgehend ähnlich, mit Ausnahme eines bemerkenswerten Glühens in der Leber“, sagt Lahnakoski.

Auch Liebe assoziierten die Assyrer und Babylonier offenbar stark mit der Leber – ebenso wie mit dem Herzen und interessanterweise mit den Knien. In ihren Texten wird Liebe häufig mit „Schwäche in den Beinen“ verknüpft. Allerdings kam es dabei auch auf den Kontext an: „Leidenschaftliche Liebe und die Liebe für das Leben verorteten die Mesopotamier beispielsweise als intensives Gefühl im gesamten Körper“, berichten die Forschenden. Romantische und sexuelle Liebe hingegen verknüpften sie eher mit dem Rumpf und dem Kopf.

Wut fühlte man im alten Mesopotamien den Keilschrifttexten zufolge am stärksten in den Beinen und Füßen, während wir das Gefühl heute eher in Oberkörper und Händen verorten. Auch Neid, Ekel und Stolz verorteten die Babylonier und Assyrer offenbar zumindest teilweise in ihren Beinen.

Körperkarten im Vergleich
Die Körperkarten von heute und damals im Vergleich: links Glück, in der Mitte Liebe und rechts Wut © Modern/PNAS: Lauri Nummenmaa et al., Mesopotamian: Juha Lahnakoski

Noch einige Lücken

Die Forschenden betonen allerdings, dass die Vergleichbarkeit zwischen damals und heute nur eingeschränkt gegeben ist: „Wir müssen bedenken, dass Texte Texte sind und Gefühle gelebt und erlebt werden“, sagt Svärd. Hinzu kommt, dass viele Emotionen von den Mesopotamiern offenbar je nach Kontext anders verortet und bewertet wurden. „So zeigen beispielsweise die akkadischen Wörter unter dem Oberbegriff Stolz eine beträchtliche Variabilität in den Körperzuordnungen“, schreibt das Team. Und nicht immer ist der Kontext aus den Texten und Begriffen klar ersichtlich.

Trotzdem sehen die Forschenden in ihrer Methodik einen vielversprechenden Weg, um die Gefühlswelt verschiedener Kulturen näher zu beleuchten. Sie wollen ihre Methode nun auch auf andere historische Zeitabschnitte anwenden. Als nächstes planen sie, 100 Millionen Wörter umfassendes englischsprachiges Textmaterial aus dem 20. Jahrhundert zu analysieren, später in ähnlichem Stil dann auch finnische Daten. (iScience, 2024; doi: 10.1016/j.isci.2024.111365)

Quelle: Aalto University

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